#niewiederistjetzt #zähnezeigengegenrechts Es geht uns alle an! Daher verlasse ich hier mal eben mein eigentliches Thema und habe vorübergehend den Titel geändert. Es ist erschreckend und traurig, dass so ein Hashtag überhaupt nötig ist.
Ich bin mit Erzählungen aus dem 3. Reich groß geworden und bin früher naiv davon ausgegangen, dass es niemals nötig wäre, auch nur ein wenig Angst davor zu haben, dass unsere Demokratie oder unsere Freiheit in Gefahr sein könnte. Das denke ich schon lange nicht mehr. Es gibt so viele Parallelen zu früher, aber eben auch Unterschiede, denn wir haben ja Geschichte, die uns eigentlich lehren sollte, was richtig ist und was nicht. Inzwischen weiß ich, dass das so nicht funktioniert. Wenn meine Mutter von früher erzählte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein ganzes Volk nicht bemerken konnte, was damals eigentlich passiert ist. Auch wenn es bei uns noch nicht „ein ganzes“ Volk ist, wie wir an den aktuellen Demonstrationen sehen, glaube ich, dass es schon schlimmer steht, als wir es eigentlich wahrhaben wollen. Die Demonstrationen trösten mich ein klein wenig darüber hinweg, dass sie nötig sind. Ich habe mich entschieden, eine Passage aus den Memoiren meiner Mutter mit Euch zu teilen. Eine der vielen Erinnerung meiner Mutter, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich bin froh, dass sie sie aufgeschrieben hat. Ich glaube, dass der Mensch persönliche Erlebnisse, wenn auch nur in Worten beschrieben, einfach anders wahrnimmt. Meine Mutter ist 1926 geboren und war damals 12 Jahre alt. Aus Christine Ikier, "Wir", geschrieben 2006. Diesen Ausschnitt veröffentliche ich anlässlich zu den aktuellen Ereignissen. #niewiederistjetzt „Im Jahre 1938 geschah etwas Unglaubliches. Ich kann es einfach nicht verstehen, warum damals nicht das ganze Volk den Aufstand probte. Wahrscheinlich waren die Menschen durch ständige Hetzparolen abgestumpft oder waren in ihrer Angst völlig verstummt. Wir demokratisch geschulten Modernen können diese Geschehnisse ohnehin nicht nachvollziehen. Sie sind aber in unserem Land, durch Menschen, die wir vielleicht kennen, geschehen. Wir müssen uns erinnern und darüber nachdenken, auch wenn wir zu den glücklich „Spätgeborene“ gehören. Wir Kinder hatten damals keinen Durchblick. Selbst wenn wir Fragen stellten, wurden sie weder von den Eltern noch von den Lehrern beantwortet. So geschah es denn am 8. November 1938. Als wir zur Schule kamen, wurden wir umgehend nach Hause geschickt, aber dringend ermahnt, auf keinen Fall auf der Straße zu bleiben. Wir verließen das Schulgebäude und hörten jemanden rufen: „Die Synagoge brennt!“ In unserer Stadt gab es eine beachtliche jüdische Gemeinde, die sich aus zahlreichen Ärzten, Juristen und angesehenen Geschäftsleuten zusammensetzte. Nicht wenige von ihnen hatten den Wohlstand unserer Badestadt begründet und gefördert. Die Synagoge war groß und imposant, denn ihre Mitglieder waren fast alle gutsituierte Bürger. Diese Synagoge brannte. Ein brennendes Gebäude war eine aufregende Sache. Entgegen der schulischen Ermahnung rannten wir dorthin und wunderten uns, dass zwar einige Feuerwehrleute mit ihren Wasserschläuchen die angrenzenden Häuser bespritzten, aber keinerlei Versuche unternahmen, das Feuer zu löschen und die Synagoge zu retten. Kopfschüttelnd standen zwar ein paar Leute herum, aber niemand unternahm etwas. Sie waren alle ganz stumm. Wir machten uns auf den Heimweg über die Fürstenstraße zur Altstadt und bemerkten nun, wie aufgeregt die ganze Bevölkerung war. Als wir an dem großen Handarbeitsgeschäft vorbeikamen, gab es keine schöne Auslage mehr. Diese hatte ich immer sehr bewundert ihrer bestickten hübschen Seidendecken wegen. Die beiden Schaufenster waren zerbrochen, die Auslagen überall auf der Straße zwischen Glasscherben verstreut. Plötzlich war ein Aufschrei zu hören, denn aus der ersten Etage dieses Geschäftshauses wurde ein wunderbarer Konzertflügel von Braununiformierten auf die Straße geworfen. Ich sehe heute noch die Klaviertasten über den Asphalt springen und war fassungslos. Bei uns zuhause gab es nur ein altes Klavier und hier wurde so ein kostbares Instrument zertrümmert. Plötzlich bekam ich es all der aufgeregten Menschen und dieser unverständlichen Zerstörung wegen mit der Angst zu tun und wollte nach Hause rennen. (…) Inzwischen erfuhr man, dass in ganz Deutschland die Synagogen brannte, jüdische Geschäfte ausgeraubt worden waren und viele, viele jüdische Mitbürger verhaftet und abtransportiert worden waren. Alle an diesem Tag verschont gebliebenen Juden mussten nun den gelben Davidstern tragen. Man sollte sie sofort erkennen. -Wer sich mit ihnen abgibt oder auch nur unterhält, dem drohen drastische Strafen.- Das war der Beginn des Holocausts, so geschehen in Deutschland am Vortag des 9. November 1938, der ein nationalsozialistischer Gedenktag war. Die Parolen aus den Volksempfängern waren laut und endlos und feierten den Sieg über das „Weltjudentum“. Die Bevölkerung aber verstummte.“ Christine Ikier, "Wir", 2006 Die Bevölkerung verstummte! Das darf nie wieder passieren! #niewiederistjetzt